So geht Bachs Weihnachtsoratorium unter die Haut

Von Stefan Pieper

MARL. Ein vertrautes Meisterwerk hörte das Publikum auf eine neue Art: Die Musikgemeinschaft musizierte einen überragenden Bach-Abend im Theater.

"Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium produziert bei mir ein inneres Leuchten" sagt die studierte Profimusikerin Annabell Bialas, die im Orchester der Marler Musikgemeinschaft Trompete spielt. Da die Stimme für dieses Instrument in diesem barocken Meisterwerk durchgehend in hoher Lage liegt, kommt hier eine Piccolo-Trompete zum Einsatz. Noch zahllose großartige Momente mehr gab es im TM bei einer absolut würdigen Aufführung von Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium und der Vierten Orchestersuite.

Dafür ist auch ein gutes Miteinander aus erfahrenen Kräften und vielen hochmotivierten vergleichsweise "neuen Kräften" in Chor und Orchester verantwortlich. Wolfgang Endrös hat damit gründlich und gestalterisch kreativ gearbeitet. Das ist hör- und sichtbar. Durchgängig dominieren zügige Tempi, was Leben in die Sache bringt. Große Klasse ist, wie schlank, vibratoarm und intonationssicher das Orchester den typisch barocken Klangcharackter realisiert.

Hervorragend aufeinander abgestimmt
Ebenso wirken die ausgewählten Gesangssolistinnen und Solisten hervorragend aufeinander und vor allem die gemeinsame große Sache abgestimmt. Hier beeindrucken Benita Borbonus (Sopran) und Beate Koepp (Alt) mit nobler lyrischer Eleganz, Gustavo Martin Sanchez (Tenor) gibt mit solchen Qualitäten einen brillant verständlichen, einfühlsamen Evangelisten ab, während Alexander Schmidt seine nicht allzu tiefe Bassstimme blitzsauber artikuliert. Also gehen sämtliche Arien in Bachs Weihnachtsoratorium von Anfang an ergreifend unter die Haut.

Dieses große Werk mit seinen Chorälen, Arien, Rezitativen, Duetten und Zwischenspielen fasziniert durch seine wechselnden Konstellationen - nicht nur, wenn einelne Instrumentengruppen solistisch hervor treten.

Zum Beispiel die beiden Oboistinnen Claudia Schoppmann und Carmen Jäger oder das ebenso motivierte Flötistinnen-Duo, die sich sehr effektvoll links und rechts auf der Bühne gegenüber standen. Auch solche gestalterischen Details entfalten im TM eine immense Wirkung. Stehend spielende Instrumentalsolisten und Solisten liefern doch eine ganz andere optische und auch akustische Präsenz! Soviel Lebendigkeit lässt auch den Chor spektakulär über sich hinaus wachsen, zum Beispiel in der komplizierten Fuge "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden". Das Publikum war mitgerissen. Wolfgang Endrös spürte dies. Also drehte er sich nach dem triumphalen Schlusschor "Herrscher des Himmels" zum Publikum und dirigierte nahtlos weiter, zum gemeinsamen "O du fröhliche", in welches das ganze Theater aus tiefster Seele einstimmte.

Hinter dieser glanzvollen Aufführung steht viel idealistische Arbeit, die sich ausgezahlt hat: "An Wolfgang Endrös Probenstil gefällt mir besonders, dass er Vertrautes immer wieder neu und anders gestaltet" bekundet Gerti Ernst-Krahwinkel. So etwas hat Johann Sebsatian Bachs "ewigem" Weihnachtsoratorium eine ganz neue Frische geschenkt


Quelle: Marler Zeitung vom 19.12.2022


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